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Die Vererbungslehre ist
eine recht junge Wissenschaft und, was den praktischen
Nutzen der Vererbungsgesetzte angeht, eine recht undankbare
dazu. Jeder Hobbyzüchter hat sicher schon einmal die
folgende Situation erlebt: Man hat Berge von
Kreuzungstabellen und Büchern gewälzt, mit dem so erworbenen
Wissen eine tolle Verpaarung geplant, aufgrund der
theoretischen Recherchen, mit einer Vielzahl von
außergewöhnlichen Farbvarianten gerechnet und dann voller
Erwartung vor der Wurfkiste gesessen. Und was machte die
liebe Katzenmama? Sie brachte völlig selbstverständlich
lauter muntere liebe Katzenkinder zur Welt, aber alle
gleichfarbig und vielleicht auch noch lauter Katerchen oder
Kätzchen. Dabei weiß doch jeder, auch der, der sich noch nie
in seinem Leben um Vererbungsgesetze gekümmert hat, daß
normalerweise immer etwas gleichviel Kater und Katzen zu
erwarten sind. Ist also die ganze Vererbungslehre wirklich
nur Humbug? Oder steckt hinter diesem Zufall doch ein
System? Vererbung
funktioniert nach Gesetzmäßigkeiten
Also „Humbug" ist die
Vererbungslehre oder Genetik, wie sie seit dem Jahr 1906
heißt, sicher nicht. Dann bleibt uns nur übrig, die
Gesetzmäßigkeiten zu finden, die hinter all den Zufällen
stecken. Dabei wird es uns nicht erspart bleiben, neben dem
Begriff Genetik auch noch ein paar andere Fachbegriffe zu
erarbeiten. Ich will damit niemanden ärgern oder langweilen,
aber Fachwörter stehen immer für genau definierte
komplizierte Sachverhalte. Sie geben uns die Möglichkeit,
vielschichtige, umfangreiche Probleme kurz, präzise und
unmißverständlich darzustellen. Dies gelingt jedoch nur,
wenn alle die einzelnen Fachwörter gleich verwenden. Wenn
wir uns mit Vererbungslehre oder Genetik beschäftigen, dann
beobachten wir, wie einzelne Merkmale von einer Generation
an die andere weitergegeben werden oder wie sich bestimmte
Merkmale von Katze oder Kater in den Babys wiederfinden,
vermischen oder verstecken, also scheinbar verlorengehen.
Aber schon der Begriff Merkmal führt leicht zu
Mißverständnissen. Was ist ein Merkmal? Nehmen wir das Fell
unserer Kuscheltiere als Beispiel. Ist vielleicht „Kurzhaar
blau" ein Merkmal? Oder nur „Fell", wobei dann „kurzes Haar"
und „blau" enthalten sind? Oder sind etwa „Fellänge" und
„Fellfarbe" zwei getrennte Merkmale? Um hier Begriffe exakt
zu definieren, müssen wir etwas tiefer in die Trickkiste der
Natur greifen.
Baupläne als
Informationsträger
Das Wesen der Vererbung
besteht darin, daß ein bestimmtes Erbgut, also ein
bestimmter Bauplan, von Generation zu Generation
weitergegeben wird. Die Summe aller in einem Bauplan für
einen bestimmten Organismus enthaltenen Informationen nenne
wir Genom. Bei einer Katze enthält die befruchtete Eizelle
alle die Einzelinformationen als Genom zusammengefaßt, die
dann während der Entwicklung alle die Merkmale ergeben, an
denen wir diesen Organismus als Katze erkennen. Und was
gehört so alles zu einer Katze? Ein bestimmter Körperbau,
Fellqualität, eine bestimmte Kopfform, Ohrenform, Augenform,
Augenfarbe, Fellfarbe, Fellänge, Farbdichte . . . ! Halt!
Hier
hat sich von ganz allein eine Begriffsbestimmung ergeben.
Wenn das Genom die Informationen für alle Merkmale enthält,
dann enthält jedes Gen, das ja Teil des Genoms ist, die
Information für ein Merkmal. Dabei sind manche Merkmale
offensichtlich, wie zum Beispiel Fellfarbe, Fellänge oder
Farbdichte, die meisten aber, wie zum Beispiel Körperbau,
innere Organe etc., eher versteckt und für unsere Zwecke
auch nicht so wichtig. Und was ist nun mit „kurzem Haar",
„langem Haar" oder „schwarzem Fell", „blauem Fell"? Nun,
hier handelt es sich um Ausprägungen oder Schalterstellungen
eines bestimmten Merkmals oder Gens, wir nennen dieses in
Zukunft Allel. Also nochmals: Jedem Merkmal, zum Beispiel
„Farbdichte", liegt ein bestimmtes Gen zugrunde, daß alle
notwendigen Informationen zur Ausbildung des Merkmals
enthält, hier in unserem Beispiel also die „Form und
Verteilung" der Pigmente steuert, die die Fellfarbe
entstehen läßt. Das Gen kann
aber auch noch verschiedene Schalterstellungen oder Allele
einnehmen, die dann zu der „vollen" Farbe Schwarz oder der
„verdünnten" Farbe Blau zu führen.
Mendelsche Gesetze sind bin
heute Grundlage
Wo sind nun diese Gene, die
statistisch gesehen nach bestimmten Regeln, im Einzelfall
jedoch mehr zufällig von den Eltern auf die Kinder
weitergeben werden? Die gedankliche Grundlage lieferte 1866
der Augustinermönch Johann Gregor Mendel, der eine riesige
Zahl von Erbsen kreuzte und die Nachkommenschaft statistisch
auswertete. Er leitete daraus die heute noch gültigen
Mendel'schcn Regeln der Vererbung ab, mit denen wir uns
später noch genauer beschäftigen werden. Er fand aber
auch heraus, daß die meisten Gene im Prinzip unabhängig
voneinander weitergegeben werden, manche jedoch fast immer
aneinander gekoppelt auftreten. Im Zellkern einer jeden
Zelle, auch der Eizelle, aus der jeder Organismus durch eine
Anzahl von Zellteilungen, den Mitosen, schließlich entsteht,
fand man anfärbbare Körperchen, die Chromosomen. Diese
Chromosomen machen während der Zellteilungen bestimmte
Zyklen durch und werden nach bestimmten Regeln auf die
beiden Teilungsprodukte, die Tochterzellen, verteilt. Die
Anzahl und Form der Chromosomen ist in jeder Zelle einer
Pflanzen- oder Tierart immer gleich und in Zellen nahe
verwandter Arten ähnlich. Es
wurde schon 1885 geschlossen, daß die Chromosomen die Träger
der Gene sind. Gene, die unabhängig voneinander vererbt
werden, liegen auf verschiedenen Chromosomen, solche die
aneinander gekoppelt vererbt werden, liegen hintereinander
auf demselben Chromosom. Noch interessanter sind die
speziellen Teilungen, die zu den Keimzellen oder Gameten
führen, also bei der Katze zu den Eizellen und beim Kater zu
den Spermien. Diese Reifeteilungen oder Meiosen sorgen
dafür, daß das Erbgut von Mutter und Vater nach bestimmten
Regeln, auf die wir später noch
genauer eingehen wollen, auf die Eizellen und Spermien
verteilt wird. Nach dem Decken verschmelzen je eine Eizelle
und ein Spermium zur befruchteten Eizelle, der Zygote, aus
der dann durch Mitosen wieder ein Kätzchen entsteht. Wenn
wir also den Weg bestimmter Chromosomen gedanklich über
mehrere Generationen verfolgen und dabei die
Verteilungsregeln in den Teilungszyklen der Meiosen
beachten, müßten wir die Mendel'schen Regeln nachvollziehen
können und damit verstehen lernen, welches System hinter dem
Zufall „Vererbung" steckt.
Die junge Wissenschaft kämpft
mit einigen Unsicherheiten
Bevor wir uns an die
zugegebenermaßen etwas schwierige Aufgabe machen, die
Grundlagen der Vererbungsgesetze zu verarbeiten, ein kleiner
historischer Seitenblick. Die Geschichte ist nicht nur
interessant, sie zeigt uns auch, wie jung die
Vererbungslehre noch ist. Und da die Vererbungsregeln nur
statistisch zu erfassen sind, ist es nur verständlich, daß
es bei dem kurzen Erfahrungszeitraum noch manche
Unsicherheiten gibt. Dazu kommt noch eine Schwierigkeit, vor
der wir heute mit unseren ganzen modernen Methoden genauso
stehen wie Mendel vor 125 Jahren. Wir können genausowenig
wie Mendel ein Gen sehen oder irgendwie kenntlich machen.
Erst wenn von einem
Gen zwei oder mehr Allele existieren, erkennen wir es als
eigenständiges Gen. Wenn es zum Beispiel nur Katzen mit
kurzem Fell gäbe, bestünde kein Grund anzunehmen, daß es ein
eigenes Gen gibt, das für das Merkmal „Fellänge" zuständig
ist. Erst wenn durch eine sprunghafte Änderung der
genetischen Information, durch eine Mutation, eine vom
Wildtyp oder Normaltyp abweichende Ausprägung eines
Merkmals, also ein neues Allel entstanden ist, können wir
daraus schließen, daß es
sich um ein selbständiges Gen handelt. Wie funktioniert nun
so eine Mutation? Daß die Gene auf den Chromosomen liegen,
haben wir schon gesehen.
Mutationen sind Sprunghafte
Zufälligkeiten
Die Chromosomen bestehen
aus Eiweißen oder Proteinen und den Nucleinsäuren. Diese
ominösen Säuren heißen so, weil sie nur im Zellkern, dem
Nucleus, vorkommen. Die wichtigsten Nucleinsäuren sind die
Desoxyribonucleinsäure und die Ribonucleinsäure, besser
bekannt unter den Kürzeln DNS und RNS. Für den Bauplan eines
Lebewesens ist eine fast unendlich große Zahl von
Informationen nötig, und diese Information ist in einer
speziellen Sprache auf den Chromosomen gespeichert. Unser
Alphabet besteht aus 26 Buchstaben, die in einer bestimmten
Reihenfolge hintereinander aufgereiht eine bestimmte
Information vermitteln. Die Proteine und die Nucleinsäuren
sind chemische Verbindungen, die jeweils aus einer
bestimmten Anzahl von Grundbausteinen bestehen, die wie bei
einer Perlenschnur aufgereiht sind. Die Proteine bestehen
aus einer Perlenschnur von Aminosäuren, und es gibt davon 20
Sorten. Die Sache erinnert also stark an unser Alphabet. Die
Nucleinsäuren bestehen aus einer Perlenschnur von
Nucleotiden und davon gibt es ganze vier Sorten. So schien
es klar, daß als Träger des umfangreichen Genoms eines
Lebewesens nur die Proteine in Frage kommen. Es sollte noch
bis 1944 dauern, bis bewiesen werden konnte, daß nicht die
Proteine, sondern entgegen allen Zweifeln die Nucleinsäuren
die Träger der Erbinformation sind. 1945 lag dann endlich
auch genug statistisch auswertbares Untersuchungsmaterial
vor, mit dessen Hilfe ge-
zeigt werden konnte, daß die Mendel'schen Regeln auch bei
Tieren anzuwenden sind. 1953 wurde die Struktur der
Nucleinsäuren beschrieben. Die beiden Forscher Watson und
Crick sollten dafür den Nobel-Preis bekommen. Der genetische
Code, das Alphabet, in dem die genetische Information durch
die Nucleinsäuren auf die Chromosomen geschrieben ist, wurde
schließlich 1966 geknackt. Sie sehen also, 1866 fand Mendel,
daß etwas geschrieben steht über den Bauplan eines
jeden Lebenwesens. Aber es dauerte 100 Jahre, bis man
beweisen konnte, was und wo und wie die genetische
Information gespeichert ist und wie die Baupläne von
Generation zu Generation weitergegeben werden.
Genetischer Code auf vier
Buchstaben
Lassen Sie uns das Pferd
quasi von hinten aufzäumen. Nachdem wir uns heute das Wesen
der Mutation anhand des genetischen Codes klargemacht haben,
werden wir versuchen, anhand der Geschehnisse bei der Meiose,
der Verteilungsregeln des Erbgutes auf die Keimzellen der
Meiose, der Verteilungsregeln des Erbgutes auf die
Keimzellen und der Befruchtung, die Mendel'schen Regeln zu
durchschauen. Dann können wir Kreuzungstabellen lesen, und
was noch wichtiger ist, auch interpretieren. Dann können uns
solche Zufälle wie der am Anfang beschriebene nicht
mehr schocken, weil wir wissen, welches statistische System
dahinter steckt. Nun zum genetischen Code. Wir haben schon
gesehen, daß die DNS aus vier Bausteinen, den Nucleotiden
besteht. Diese
heißen Adenin, Guanin, Thymin und Cytosin. Sie unterscheiden
sich chemisch voneinander und zeigen unterschiedliche
Eigenschaften. Die Unterschiede sind zwar deutlich, chemisch
gesehen jedoch so klein, daß durch äußere Einflüsse, aber
auch spontan, das heißt ohne äußeren Anstoß, das eine
Nucleotid in ein anderes Nucleotid oder in ein
außergewöhnliches Nucleotid mit anderen Eigenschaften
umgewandelt werden kann. Machen wir uns ein einfaches
Modell, um diese hochtheoretischen Erkenntnisse zu
durchleuchten. Wenn wir die einzelnen Nucleotide durch ihre
Anfangsbuchstaben bezeichnen, dann könnte ein Ausschnitt aus
einem Nucleotidstrang so aussehen:
... -
A-U-G-C-A-A-A-C-A-G-T-T-T-A-T-A-A-G- ... |
Eigenschaften der Proteine
durch Reihenfolge der Aminosäuren bestimmt
Das soll eine Information
sein? Nun gut, spinnen wir die Idee weiter. Was soll der
genetische Code eigentlich verschlüsseln? Ein Lebewesen ist
aus einer Menge von unterschiedlichen Proteinen aufgebaut.
Die Unterschiede in den Proteinen kommen von
unterschiedlichen Abfolgen der sie bildenden Aminosäuren,
die Reihenfolge macht, daß aus dem einen Protein Teil einer
Muskelfaser, aus einem anderen Teil einer Sehne und noch aus
einem anderen ein Enzym wird. das zum Beispiel einen
Stoffwechselvorgang steuert. Die Liste der Beispiele ließe
sich noch fast endlos fortsetzen. Wichtig ist die
Erkenntnis, daß die Eigenschaften der Proteine durch die
Reihenfolge der Aminosäuren bestimmt werden und daß der
genetische Code durch die Reihenfolge der Nucleotide die
Baupläne für die verschiedenen Proteine eines Lebenwesens
liefern muß. Der genetische Code muß also so beschaffen
sein, daß die Reihenfolge der vier Nucleotide mindestens 20
Buchstaben ergibt, für jede Aminosäure einen. Das erinnert
stark an das Morsealphabet, wo mit zwei Zeichen, dem Punkt
und dem Strich, 26 Buchstaben codiert werden, die Symbole
für die einzelnen Buchstaben sind durch Leerzeichen
voneinander getrennt. Die DNS-Perlschnüre sind lückenlos, es
gibt kein Leerzeichen, dafür aber bestimmte Steuerzeichen
wie „Anfang" und „Ende". Mit unseren vier Elementen müssen
mehr als 20 Buchstaben dargestellt werden. Wenn wir immer
eine Zweiergruppe zu einem Wort zusammenfassen, ergibt das
16 (vier hoch zwei) Möglichkeiten der Kombination, also 16
Buchstaben. Fassen wir immer drei zusammen, dann haben wir
64 (4 hoch 3)
Kombinationsmöglichkeiten. Da wir mindestens 20, mit Anfang
und Ende mindestens 24 Buchstaben brauchen, ist das die
Lösung. Tatsächlich stellt immer eine Dreiergruppe ein
sogenanntes Triplett von
Nucleotiden, einen Buchstaben des genetischen Codes dar.
Jedes Triplett steht für eine Aminosäure oder einen
Steuerbefehl. Bauen wir an unserem Modell weiter und legen
wir die Bedeutung einiger Tripletts fest.
-A-T-G-
= a
-C-A-A- = b
-A-T-A- = i
-T-A-T- = m
-G-T-T- = r
-A-C-A- = u
-A-U-G- = Anfang |
Nehmen wir nochmal unsere
erste Nucleotidfolge zur Hand. Jetzt sehen wir, daß in
diesem scheinbaren Chaos eine Information steckt.
... -
A-U-G-C-A-A-A-C-A-G-T-T-T-A-T-A-A-G- ...
x
x
x
x
x
x
x
b
u
r
m a |
Jetzt lassen wir unser
Modell mutieren, entweder spontan oder durch einen äußeren
Einfluß wie radioaktive Strahlung, Röntgenstrahlen,
UV-Strahlen oder eine giftige chemische Substanz. Nehmen wir
an, aus dem C, das genau über dem „u" von „burma" steht,
wird ein T.
... -
A-U-G-C-A-A-A-T-A-G-T-T-T-A-T-A-A-G- ...
x
x
x
x
x
x
x
b
i
r
m a |
Mit diesem kleinen Modell
haben wir schon das Wesen der Mutation erkannt: eine kleine,
punktuelle Veränderung im Genom kann zu deutlich sichtbaren
Veränderungen in der Ausprägung eines Merkmals führen. Ein
Alle! ist entstanden. Nachdem wir nun wissen, wie ein Gen im
Prinzip aufgebaut ist, wie ein Merkmal im genetischen Code
verschlüsselt ist, wie sich die Ausprägung eines Merkmals
verändern kann, werden wir das nächste Mal erfahren, wie die
Merkmale und deren Ausprägungen von Generation zu Generation
weitervererbt werden. Mitose und Meiose, die zufällige
Verteilung der Allele auf die Keimzellen und die zufällige
Kombination der Allele durch die Verschmelzung der
Keimzellen zur befruchteten Eizelle werden dann unser Thema
sein.
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Dipl. Biologe R.
Fahlisch
"Dreamhunter Cattery"
Das Copyright für den oben genannten Text, liegt sowohl beim
Autor des Textes Herrn R. Fahlisch, sowie bei dem Betreiber
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