Irgendwann in einem begrenzten Zeitraum der Embryonalentwicklung wird nach einer Mitose das eine der beiden X-Chromosomen nicht mehr entspiralisiert. Es verbleibt in der Transportform und ist damit inaktiviert. Die genetische Information kann nun nicht mehr abgelesen werden und für die Tochterzellen bleiben nur noch die Informationen des anderen X-Chromosoms übrig. Ist bei einer sich entwickelnden Schildpatt-Katze das X-Chromosom von der Mutter inaktiviert, verfügen diese Zelle und alle von ihr durch Mitose abstammenden Zellen nur noch über das O
x-Allel auf dem X-Chromosom vom Vater. Ist dagegen das vom Vater stammende inaktiviert, verbleibt als Informationsquelle nur das von der Mutter mit dem ox-Allel. Erstere sind in der Zeichnung mit O gekennzeichnet und werden später einmal nach vielen weiteren Mitosen die orangefarbenen Flecken mit dem weiter oben schon beschriebenen Genotyp abgeben. Jetzt können Sie sich auch das Fragezeichen erklären, dahinter verbirgt sich das Allel des inaktivierten X-Chromosoms.

In der letzten Zeichnung sehen Sie, wie die Farbflächen wachsen. Sie können leicht ableiten, daß die geschlossenen Flächen einer Farbe größer werden, wenn die Inaktivierung früh in der Entwicklung stattfindet und klein bleiben, wenn die Inaktivierung spät erfolgt. Liegt der Inaktivierungsvorgang jedoch zu früh, noch vor der Differenzierung in die verschiedenen Organanlagen, dann ist auch eine genetische Schildpatt-Katze einfarbig, weil ja dann alle Hautzellen den gleichen Inaktivierungszustand vererbt bekommen.

Vom züchterischen Standpunkt aus liegt genau da der Hase im Pfeffer! Der Zeitpunkt der Inaktivierung des zweiten X-Chromosoms ist weder vorhersehbar noch beeinflußbar. Und welches der beiden X-Chromosomen inaktiviert wird, das bleibt für jede Ausgangszelle unabhängig von den Nachbarzellen dem ZUFALL überlassen. Weder Reinzucht noch Linienzucht führen zum Erfolg. Trotzdem sind auf Ausstellungen immer wieder sehr harmonisch gefärbte Schildpatt-Katzen zu bewundern. Hut ab vor der Geduld der Züchter!

Nachdem wir jetzt wissen wie die Schildpatt-Zeichnung zustande kommt, sind wir mal wieder reif, nicht für die Insel, sondern für eine neue Tabelle. Allerdings ist es jetzt schon etwas kompliziert, alle Möglichkeiten in einer noch einigermaßen verständlichen Form zusammenzufassen. Die folgende Tabelle schließt alle Farbkompositionen ein, an denen das Orange-Gen beteiligt ist. Vorab noch ein paar Erläuterungen und Wiederholungen zum besseren Verständnis.

Das Orange-Gen gehört zu einem System von Polygenen, das auch als Rufus-Gruppe bezeichnet wird. Das Orange-Gen ist das Hauptgen (engl.: major gene), das exakt den Mendel'schen Regeln für die geschlechtsgebundene Vererbung folgt. Die übrigen Gene dieses System verbergen sich als Untergene (engl.: minor genes) in dem gesamten genotypischen Milieu und beeinflussen die Ausprägung des betreffenden Merkmals mehr oder weniger stark und fast immer in kaum berechenbarer Weise. Die minor genes sind verantwortlich für die für manche Merkmale charakteristische Modifikationsbreite. Rot variiert von hellgelb bis tieforange durch diese Modifikatoren oder minor genes. Dann dürfen wir natürlich auch bei Orange die Modifikatoren der Dilution-Gruppe nicht vergessen, die mit dem Verdünnungs-Allel (d) des Hauptgens alle Schattierungen von Creme ermöglichen. Analysiert man die Verteilung der Farbpartikel bei den verdünnten Farben mikroskopisch, findet man deutlich unterscheidbare Zahlenverhältnisse. Sie folgen den Mendel'schen Regeln eines dominanten epistatischen Erbgangs gegenüber d und eines hypostatischen Erbgangs gegenüber D. Das Gen wurde von Patricia Turner dilution modifier (Dm) genannt und die Ergebnisse 1980 veröffentlicht. Die mit dem unbewaffneten Auge sichtbaren Auswirkungen mögen gegenüber der Variationsbreite der übrigen Modifikatoren der Dilution-Gruppe und auch der Rufus-Gruppe minimal und von züchterischen Standpunkt irrelevant sein, für den Genetiker ist es allemal interessant. Es kann auch sein, daß die Farbe apricot für die modifizierte Verdünnung von orange, caramel für die von schwarz und taupe für die von chocolate so in den Rassestandards nicht vorkommen. Ich versuche nur, die Farben und deren Variationen aus der Sicht des Genetikers möglichst anschaulich zu beschreiben, die Einordnung in Standard-Kategorien muß ich Richtern und Züchtern überlassen.

Zurück zu unserem Thema. Nicht die Rufus-Gruppe allein ist insbesondere für die Ausprägung der roten Farbe ausschlaggebend, auch die Polygene der Ticking-Gruppe spielen eine große Rolle. Diese Polygene kontrollieren die Bänderung der Haare und nehmen damit Einfluß auf die Intensität und Flächigkeit der Tabby-Zeichnung. Die Modifikatoren haben auf das Classic-Allel (t
b) des Tabby-Hauptgens eine besonders ausgeprägte Wirkung. Die dunkel-orange Zeichnung ist besonders großflächig und überdeckt im Idealfall nahezu die gesamte hellere Agouti-Grundfarbe. Die Orange-Flecken erscheinen dann einfarbig. Deshalb steht in der letzten Spalte (tb/tb), auch wenn es sich um einen Non-Agouti-Genotyp handelt, denn die übrigen Farbflächen sollen ja einfarbig sein bei der orginären Schildpatt- oder Tortie-Katze. Anders ist das natürlich bei der Tortie-Tabby oder Torbie-Katze, bei der sowohl im Orange als auch in den anderen Farbflächen eine deutliches Tabbymuster gewünscht wird.

Ich möchte, bevor Sie die folgende Tabelle genau unter die Lupe nehmen, noch mal darauf hinweisen, daß wir es hier genetisch mit ein- oder zweifarbigen Katzen zu tun haben. Orange in allen unverdünnten oder verdünnten Schattierungen mit mehr oder weniger deutlicher Tabby-Zeichnung und Schildpatt. Letztere sind zweifarbig. Die orangenen Bezirke entsprechen der Beschreibung bei den Einfarbigen. Die andersfarbigen Bezirke können einfarbig schwarz oder einfarbig chocolate sein, wobei jeweils alle Verdünnungen möglich sind. Schildpatt-Katzen, bei denen sowohl die Orange-Bezirke als auch die Nichtorange-Bezirke Tabby-Zeichnung tragen, sind Agoutis (A/-). Solche, bei denen höchstens die Orange-Bezirke gemustert sind, sind Non-Agoutis (a/a).

Bei den in Klammern gesetzten Allelen merken Sie sich folgende Lesart: O/O, O/o sind verkürzte Schreibweisen von O
x/Ox und Ox/ox. Bei Katern ist das zweite X-Chromosom durch das y-Chromosom zu ersetzen. Das geht nur bei den in Klammern gesetzten Allelen, ohne daß sich am Phänotyp etwas ändert. Sie sehen also, Kater sind immer einfarbig, rot oder red-tabby! Oder vielleicht doch nicht? Wir werden sehen.

 

  Mögliche Genotypen Orange
   
  red: -- -- C- D- -- ii O(O) tbtb
  red-...-tabby: (A-) -- C- D- -- ii O(O) **
  schildpatt: aa B- C- D- -- ii Oo tbtb
  (black)-...-torbie: A- B- C- D- -- ii Oo **
  (echter) roter Abessinier: -- -- C- D- -- ii O(O) Ta-
  red-point: aa -- cscs D- -- ii O(O) tbtb
  red-tabby-point: (A-) -- cscs D- -- ii O(O) **
  seal-tortie-point: aa B- cscs D- -- ii Oo tbtb
  seal-torbie-point: A- B- cscs D- -- ii Oo **
  cameo-...-tabby (A-) -- C- D- -- I- O(O) **
  red-smoke, -shaded, -shell: -- -- C- D- -- I- O(O) tbtb
  cameo-...-torbie: A- B- C- D- -- I- Oo **
  schildpatt-smoke, -shaded, -shell: aa B- C- D- -- I- Oo tbtb
                   
  creme: -- -- C- dd dmdm ii O(O) tbtb
  apricot: -- -- C- dd Dm- ii O(O) tbtb
  creme-...-tabby (A-) -- C- dd dmdm ii O(O) **
  blau-creme (-schildpatt): aa B- C- dd dmdm ii Oo tbtb
  (blau-)creme-...-torbie: A- B- C- dd dmdm ii Oo **
  (echter) creme Abessinier: -- -- C- dd dmdm ii O(O) Ta-
  creme-point: aa -- cscs dd dmdm ii O(O) tbtb
  creme-tabby-point: (A-) -- cscs dd dmdm ii O(O) **
  blue-tortie-point: aa B- cscs dd dmdm ii Oo tbtb
  blue-torbie-point: A- B- cscs dd dmdm ii Oo **
  cameo-creme-...-tabby: (A-) -- C- dd dmdm I- O(O) **
  creme-smoke, -shaded, -shell: -- -- C- dd dmdm I- O(O) tbtb
  blaucreme-smoke, -shaded, -shell: aa B- C- dd dmdm I- Oo tbtb
                   
  chocolate-schildpatt: aa b* C- D- -- ii Oo tbtb
  chocolate-...-torbie: A- b* C- D- -- ii Oo **
  chocolate-tortie-point: aa bb cscs D- -- ii Oo tbtb
  chocolate-torbie-point: A- bb cscs D- -- ii Oo **
  lilac-schildpatt: aa b* C- dd dmdm ii Oo tbtb
  lilac-...-torbie: A- b* C- dd dmdm ii Oo **
  lilac-tortie-point: aa bb cscs dd dmdm ii Oo tbtb
  lilac-torbie-point: A- bb cscs dd dmdm ii Oo **
  cinnamon-schildpatt: aa bl/bl C- D- -- ii Oo tbtb
  fawn-schildpatt: aa bl/bl C- dd dmdm ii Oo tbtb
  burma-rot: aa -- cbcb D- -- ii O(O) --
  burma-creme: aa -- cbcb dd dmdm ii O(O) --
                   
  Anmerkungen:                
  * =  bei "mackerel" (TT) oder (Ttb) , bei "classic" (tbtb)
 
 
  ... =  je nach Genotyp durch "mackerel" oder "classic" zu ersetzen, wie bei black-...- tabby gezeigt.  
  b* = bb oder bbl  
  tortie = schildpatt  
  torbie = tortie-tabby  
  cameo = red-silver  
  shell = red-chinchilla  
  (A-) = auch Non-Agoutis sind gezeichnet, aber bei Agoutis ist die Tabby-Zeichnung noch deutlicher

Schildpatt-Kater
Ich kann es nicht länger ignorieren, es gibt sie doch. Schildpatt-Kater sind allerdings sehr selten, sel-ten zeugungsfähig und haben häufig eine kürzere Lebenserwartung. Wenn sie denn doch einen Wurf zustande bringen, ist das Ergebnis fast immer frustrierend. Auf jeden Fall ist ein Verpaarung einer Schilpatt-Katze mit einem der seltenen Schilpatt-Kater keine Grundlage zu einer Schildpatt-Reinzucht. Um das zu verstehen, müssen wir ganz weit zurückgehen, sozusagen an den Anfang, nicht der Welt, sondern dieses Artikels. Meiose heißt das Thema.

Normale Meiose und Befruchtung mit normalen Spermien (Bild rechts):

Zur Wiederholung: In den Ovarien sind die Vorläufer der Eizellen oder Oocyten, die Oogonien. In der ersten meiotischen Teilung wird der diploide oder doppelte auf den haploiden oder einfachen Chromosomensatz reduziert, weshalb die ganze Meiose auch Reduktionsteilung heißt. Aber die Reduktion findet tatsächlich nur im ersten Teil der Meiose statt. Der diploide Satz hat 38 Chromosomen, 36 Autosomen (As) und die 2 Geschlechtschromosomen (XX), jedes Chromosom besteht aus zwei Chromatiden. Die beiden Tochterzellen aus der ersten meiotischen Teilung haben jeweils einen vollständigen haploiden Chromosomensatz (18As + X), aber jedes Chromosom besteht nach wie vor aus zwei Chromatiden. Erst in der zweiten meiotischen Teilung werden die Chromatiden verteilt, ähnlich wie bei der Mitose. Das Ergebnis sind vier Teilungsprodukte mit gleicher Gen- aber eventuell unterschiedlicher Allelenausstattung. Jede der vier Zellen hat die gleiche Chance, sich zur Eizelle zu entwickeln. Der Zufall allein entscheidet, welche tatsächlich zur Eizelle wird. Die restlichen drei Zellen werden zu Polkörpern und haben nicht unwichtige Aufgaben bei der Bildung des Follikels, in dem die Eizelle heranreift und bis zum Eisprung verbleibt. Und weil jedes der vier Teilungsprodukte die gleiche Chance zur Eizelle hat, müssen wir bei einer Analyse auch alle vier Möglichkeiten in Betracht ziehen. Deshalb sind in der Schemazeichnung auch alle vier möglichen Eizellen aufgeführt, tatsächlich überlebt aus einer einzelnen Meiose natürlich nur eine als Eizelle. Bitte das nicht vergessen und nicht verwechseln.

Beim Kater verläuft die Meiose in Prinzip gleich, nur daß sich alle vier Teilungsprodukte zu Spermien entwickeln. Außerdem entstehen durch die Reduktion in der ersten meiotischen Teilung zwei unterschiedliche Typen von Spermien. Der Kater verfügt ja über zwei verschiedene Geschlechtschromosomen, nämlich ein X-Chromosom und ein y-Chromosom. Dementsprechend bekommt nach der ersten Teilung die eine Zelle das X-Chromosom und die andere das y-Chromosom, jeweils natürlich zusätzlich zum haploiden Autosomensatz. Nach der zweiten Teilung haben wir dann vier Teilungsprodukte und alle vier entwickeln sich zu Spermien. Dabei sind jeweils zwei Spermien identisch und werden weiblich bestimmend genannt, wenn sie das X-Chromosom haben und männlich bestimmend, wenn sie das y-Chromosom abbekommen haben.

Der entscheidende Unterschied zwischen der Meiose beim Kater und der bei der Katze liegt in den zeitlichen Abläufen. Beim Kater finden in den Hodengeweben dauernd Meiosen statt. Sie dauern nur wenige Stunden und die Entwicklung zu fertigen Spermien geht rasch voran. Sie werden eine gewisse Zeit gespeichert und wenn es nicht zum Deckakt kommt, dann werden sie wieder abgebaut und vom Körper aufgenommen, denn sie enthalten ja eine Menge wertvoller Substanzen, die der Körper wieder verwerten kann. Die Spermien sind bei der Befruchtung der aktive Partner. Sie müssen nach der Ejakulation durch den Uterus zum Eileiter schwimmen und treffen erst dort auf die befruchtungsfähige Eizelle - ein gewaltiger Weg für so ein kleines Gebilde. Trägt ein Spermium irgendeine Störung, sei es ein Chromosom zuviel oder zuwenig, sei es eine ungünstige Allelenkombination, dann wird es sich erst gar nicht entwickeln oder es ist bewegungsunfähig oder sehr viel langsamer als die anderen Spermien. Daher liegt es fast nie am Kater, wenn es in der befruchteten Eizelle zu unkonventionellen Chromosomenkonstellationen kommt, weil in der Regel nur "normale" Spermien bis zur Eizelle vordringen.

Bei der Katze sieht die ganze Sache erheblich anders aus. Wir müssen drei verschiedene Zyklen unterscheiden:
1) der anovulatorische Zyklus dauert 14-28 Tage
2) der ovulatorische Zyklus dauert 14-16 Wochen, nämlich ca. 9 Wochen für die Trächtigkeit und ca. 6 Wochen für die Säugeperiode
3) der pseudogravide Zyklus mit 40-50 Tagen

Alle drei Zyklen beginnen gleich. Einige oder einige zehn Oogonien beginnen mit der Meiose und der Follikelbildung. Nachdem sich die homologen Chromosomen in der Prophase-I vollständig gepaart haben, also Bivalente gebildet haben, ist erst einmal eine Pause, die Katze ist jetzt rollig. Wird sie nicht gedeckt (anovulatorischer Zyklus) werden innerhalb von 14-28 Tagen die in der Metaphase-I steckengebliebenen Oocyten abgebaut und resorbiert und das ganze Spiel beginnt von vorn. Bleiben die Follikel erhalten, ist die Katze dauerrollig. Platzen die Follikel ohne daß eine Deckung und nachfolgende Befruchtung stattgefunden hat, kommt es zur Scheinschwangerschaft (Pseudogravidität). Die Oocyten werden zwar resorbiert, die Hormone aus den geplatzten Follikeln täuschen jedoch eine Schwangerschaft vor. Wird die Katze jedoch am 2.-5. Tag der Rolligkeit gedeckt, werden die Oocyten durch den Deckakt angeregt, mit Meiose weiterzumachen und sie innerhalb von 24 Stunden abzuschließen. Inzwischen hat sich auch der Follikel voll entwickelt, nicht zuletzt mit Hilfe der Polzellen. Jetzt und nach jedem weiteren Deckakt platzt ein Follikel und die Eizellen wandern zum Eileiter und werden dort von den Spermien befruchtet. Inzwischen haben die Follikelhormone den Körper auf die Schwangerschaft vorbereitet und dafür gesorgt, daß sich die befruchteten Eizellen in der Gebärmutter einnisten können (ovulatorischer Zyklus).

Zeit spielt hier die entscheidende Rolle. Die Oocyten verharren ein bis mehrere Tage in der Prophase-I der Meiose, die Homologen sind vollständig zu Bivalenten gepaart. Es kann zu mehrfachen Überkreuzungen der vier beteiligten Chromatiden und zu dauerhaften Verklebungen kommen. In der folgen Anaphase-I können sich dann die homologen Chromosomen nicht oder nicht mehr sauber trennen (Nondisjunction) und es kommt zu Fehlverteilungen in den beiden entstehenden Tochterzellen. Die zweite meiotische Teilung verläuft in den meisten Fällen normal, hier werden ja Chromatiden voneinander getrennt. Aber das nützt dann auch nichts mehr, die in der Anaphase-I begonnene Fehlverteilung bleibt auch den Teilungsprodukten der Anaphase-II erhalten. Ist ein Autosomenbivalent von einem Nondisjunction betroffen, geht entweder schon die Eizelle selbst oder dann die befruchtete Eizelle (Zygote) wegen der extrem unausgewogenen Gendosiswirkung zugrunde. Gerät die Genbalance nicht so stark aus dem Gleichgewicht, weil eines der kleineren Autosomenbivalente beteiligt ist, entwickelt sich oft noch ein Embryo, der dann aber in einem sehr frühen Stadium abgestoßen und resorbiert wird. Wir brauchen uns also mit derartigen Chromosomenstörungen oder -aberrationen nicht weiter aufzuhalten.

Ganz anders verhält es sich, wenn das X-Chromosomenbivalent ein Nondisjunction durchmacht. Hier kann die gestörte Gendosiswirkung durch Inaktivierung entsprechend der Lyon-Hypothese kompensiert werden. Dabei kann auch mehr als ein X-Chromosom inaktiviert werden und der Embryo entwickelt sich dann nahezu normal. Selbst Jungtiere erscheinen normal, erst später zeigen sich Störungen, weil die Inaktivierung der X-Chromosomen eben doch nicht ganz vollständig ist und weil ja das Erbmaterial trotzdem vorhanden ist und die Genbalance stört. Aber schauen wir uns erst einmal in Ruhe das nachfolgende Schema mit einem Nondisjunction der X-Chromosomen an und vergleichen es mit dem ersten Schema einer normalen Meiose. Nondisjunktion in der Meiose I und Befruchtung mit normalen Spermien (Bild links).

Wie sie sehen, kommt es zu einer ganzen Reihe von ungewöhnlichen Konstellationen. Man kann den Typ der Aberration übrigens sehr gut mit einer einfachen Untersuchung von Körper- oder Blutzellen nachweisen. Wir haben früher schon festgestellt, daß die Chromosomen im Interphasekern, also dem Zustand, der zwischen zwei Teilungen liegt und die eigentliche Arbeitsform darstellt, nicht sichtbar sind, weil sie maximal entspiralisiert sind. Aber gerade im Interphasekern heben sich die Inaktivierten, also nicht entspiralisierten X-Chromosomen als kompakte, gut anfärbbare Gebilde hervor. Ein Forscher namens Barr hat diese Zusammenhänge 1949 erkannt und die inaktivierten X-Chromosomen werden seither als Barr-Körperchen bezeichnet. Normale weibliche Zellen besitzen demnach ein Barr-Körperchen, normale männliche Zellen keines (siehe erstes Schema). Davon abweichend haben die Katzen aus dem zweiten Schema entweder zwei oder kein Barr-Körperchen, der Kater hat eines.

Bei allen Katzen, die sich aus Eizellen mit einem Nondisjunction in der Meiose entwickeln, kann es sich natürlich nicht um normale Tiere handeln. Es folgt eine kurze Typisierung der Störungen, die sich aus diesen ungewöhnlichen Heterosomenkombinationen ableiten lassen. Da dieselben Probleme beim Menschen gar nicht so ungewöhnlich sind, werden auch die Namen der Aberrationen von der Humangenetik abgeleitet.

Die Superfemales
sind keine "Superweibchen", sondern wegen der nicht ganz ausbalancierten Gendosiswirkung Katzen mit erheblich gestörter Sexualentwicklung. Meistens bleibt die Rolligkeit ganz aus und kann auch nicht medikamentös oder hormonell hervorgerufen werden. Sollte es doch zu einer Befruchtung kommen, sterben die Embryos sehr früh ab. Es werden nämlich kaum normale Eizellen gebildet, weil die Homologenpaarung in der Prophase-I der Meiose durch die X-Trisomie nahezu unmöglich ist, was auch die Bildung der autosomalen Bivalente ungünstig beeinflußt.

Das Turner-Syndrom
ist nach seinem Entdecker benannt und zeigt, daß die Anwesenheit eines zweiten X-Chromosoms nicht ohne Bedeutung ist, auch wenn es in inaktivierter Form vorliegt. Der X-Null-Typ führt zu einem ganzen Bündel von Mißbildungen. Die Ovarien sind unterentwickelt und in ihrer Struktur so verändert, daß kaum Eizellen gebildet werden können. Sollte es doch zu einer Meiose kommen, gilt auch für die X-Monosomie, daß die Homologenpaarung erheblich gestört ist. Auch körperlich sind solche Katzen unterentwickelt, was bereits bei der Geburt als "Zwergenwuchs" zu erkennen ist.

Das feline Klinefelter-Syndrom
ist der Geschlechtschromosomenaberrations-Typ hinter dem sich der Schildpatt-Kater versteckt. Einerseits sind zwei X-Chromosomen vorhanden, die mit Hilfe des Lyon-Inaktivierungsmechnismus Schildpatt hervorbringen. Andererseits ist ein y-Chromosom vorhanden, das immer das männliche Geschlecht verursacht, egal wieviel X-Chromosomen dem entgegenstehen. Leider ist es geradezu typisch für solche Kater, daß ihre körperlichen Entwicklung stark verzögert abläuft und daß ihre sekundären Geschlechtsmerkmale immer unterentwickelt bleiben. Kleinhodigkeit ist eines der Leitmerkmale für das feline Klinefelter-Syndrom. Wegen der gestörten Homologenpaarung sind die Kater steril, aber immerhin noch sexuell aktiv. Nur bringt es leider nichts.

Bis zum nächstem Mal können Sie sich ja mal überlegen, wie denn die besprochenen Aberrationstypen hinsichtlich des Orange-Gens aussehen können. Und vielleicht finden wir dann auch einen Weg, wie wir doch noch zu einem fruchtbaren Schildpatt-Kater kommen. Dabei werden wir nebenbei den Grund dafür finden, daß eine nicht unerhebliche Zahl von Schildpattkatzen unfruchtbar ist oder ein gestörtes Sexualverhalten an den Tag legt.

mit freundlicher Genehmigung des Autors 
Dipl. Biologe R. Fahlisch
"Dreamhunter Cattery"

Das Copyright für den oben genannten Text, liegt sowohl beim Autor des Textes Herrn R. Fahlisch, sowie bei dem Betreiber dieser Seiten, Frau Ute Kunze. Eine Vervielfältigung oder Verwendung des Textes in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist ohne ausdrückliche Zustimmung von Herrn Fahlisch und Frau Kunze nicht gestattet.

 

         

 

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